Ganz leise, still und zurückhaltend ist er gegangen – so wie er immer gelebt hat. Erst jetzt wurde bekannt,
dass bereits am 8. Januar der bekannte Dresdner Radsportler Immo Rittmeyer im stolzen Alter von 88 Jahren
gestorben ist. Wie bescheiden er war, belegt eine Geschichte aus der Zeit, in der er längst zu den Besten
seiner Branche in der DDR gehörte. Anfang der 1960er Jahre stand er vor dem Start zum bekannten Radrennen
„Rund um die Dresdner Heide“ mit Gustav Adolf Schur und anderen damaligen Ausnahmefahrern am Start.
Als sich ein neunjähriger Autogrammsammler an ihn wandte, kam er der Aufforderung nach, meinte aber:
„Was willst du von mir, ich bin doch gar kein Großer?!“
Wer war Immo Rittmeyer?
Seit den 1950er Jahren lockte Anfang Mai eine eingängige Fanfare alle Radsportfreunde an die Radios,
um den Übertragungen vom Renngeschehen der Friedensfahrt zu lauschen. Fuhr das Fahrerfeld gar durch eine
Ortschaft in der Nähe, strömten Tausende hin, nur um für ein paar Sekunden einen Blick auf den bunten Pulk
werfen zu können.
Von diesem Friedensfahrtfieber war auch der 18-jährige Immo Rittmeyer infiziert, als er 1954 sein erstes
Radrennen bestritt und auf einem Tourenrad Zweiter der Kreismeisterschaften in Pirna wurde. Kurze Zeit
später meldete er sich bei der BSG Medizin Dresden an, erhielt das begehrte Rennrad und trainierte fortan
unter dem verdienstvollen Dr. Walter Müller-Henning, der ihn systematisch zu einem sehr guten Rennfahrer
formte. Die notwendige Zähigkeit und Härte holte sich Immo auch auf seinen langen Anfahrts- und Heimwegen
zwischen Dresden und seinem Heimatort Herbergen bei Liebstädt, wo er den Eltern auf dem Bauernhof kräftig
mithalf. So war seine Delegierung zum SC Wismut Karl-Marx-Stadt im Juli 1961 folgerichtig. In diesem Verein
wurden seine Friedensfahrthelden Helmut Stolper, Manfred Weißleder und Johannes Schober zu Mannschaftskameraden.
Seine erfolgreichste Zeit erlebte Immo zwischen 1962 und 1964. Das waren allerdings genau die Jahre, in
denen DDR-Radsportler keine Einreisegenehmigung zu den Weltmeisterschaften nach Frankreich und Belgien
erhielten. Es tobte der Kalte Krieg. Auf den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 reagierten die
NATO-Mitgliedsländer mit einem Einreiseverbot für alle DDR-Athleten in allen Sportarten. Nach einem sehr
erfolgreichen Start bei der Österreich-Rundfahrt 1962 mit einem Etappenerfolg und dem Sieg in der
Mannschaftswertung hoffte Immo endlich auch auf eine Teilnahme an der Friedensfahrt. Ein Handbruch nach
einem Sturz auf der Berliner Winterbahn und eine schwere Erkältung verhinderten mögliche Starts in den
Jahren 1963 und 1964. Die Olympischen Spiele in Tokio sollten sein Laufbahnhöhepunkt werden.
Gewissenhaft hatte er sich vorbereitet. Die beiden Ausscheidungsrennen in Gießen und Erfurt zwischen den
jeweils 15 besten BRD- und DDR-Fahrern zur Qualifikation für die gemeinsame deutsche Mannschaft absolvierte
er bravourös. In Gießen parierte er einen Angriff seines westdeutschen Doubles Winfried Gottschalk und
setzte sich mit ihm gut eine Minute vom übrigen Fahrerfeld ab, besiegte ihn im Spurt deutlich und gewann.
Das brachte laut Qualifikationsmodus 30 Punkte und sicherte ihm mit dem 12. Platz (19 Punkte) im Erfurter
Rennen einen der begehrten fünf Startplätze für die Straßenfahrer. Da die Bahnfahrer der DDR ihren Kollegen
aus der BRD in allen Disziplinen unterlagen, fuhren letztlich nur zwei DDR-Renner und 14 aus der Bundesrepublik
nach Japan: Günter Hoffmann vom ASK Vorwärts Leipzig und Immo Rittmeyer.
In Tokio wohnten die Sportler der gemeinsamen deutschen Mannschaft zwar im gleichen Hotel, doch waren die
Ossis und Wessis nicht nur zimmerweise voneinander getrennt. Jegliche Kontakte sollten vermieden werden, so
lautete die Vorgabe der Funktionäre. Wen wundert bei so wenig Teamgeist der enttäuschende 14. Platz im
Mannschaftsfahren. Im Einzelrennen kam Immo zwar zeitgleich mit dem Sieger ins Ziel, konnte aber wegen eines
Reifenschadens kurz vorm Finale nicht ernsthaft in den Endspurt eingreifen.
Nach seiner Ankunft in der Heimat wurde ihm noch auf dem Flughafen in Berlin mitgeteilt: „Komm´ mal morgen
im Personalbüro vorbei!“ Dort erfuhr er von seiner Ausdelegierung aus dem Sportklub. Ohne Angabe eines Grundes
– das war damals so üblich – musste er seine radsportliche Laufbahn mit gerade erst 28 Jahren beenden.
Trotz dieser Enttäuschung resignierte Immo nicht, sondern kümmerte sich um seine berufliche Entwicklung.
Er holte in der Abendschule die 10. Klasse nach, erlernte den Beruf eines Kfz.-Schlossers und absolvierte –
ebenfalls im Abendstudium – eine Ausbildung zum Kfz.-Meister. Inzwischen war er nach Pirna umgezogen, heiratete
seine Erika, die er beim Sportklub in Karl-Marx-Stadt kennenlernte und mit der er Anfang des Jahres seinen 59.
Hochzeitstag beging, und arbeitete bis zum Eintritt ins Rentenalter in der Kfz.-Werkstatt der SDAG Wismut in
Leupoldishain.
Der Sport ließ ihn nie los. Einmal Sportler – immer Sportler. Nach dem Leistungs- kam der Hobbysport.
Er beteiligte sich mehrmals am GutsMuths-Rennsteiglauf, am Wasa-Lauf in Schweden, am Radmarathon Trondheim –
Oslo (539 km), an den Senioren-Rad-Weltmeisterschaften in Sankt Johann sowie an verschiedenen
Triathlon-Wettbewerben. Bis fast ganz zuletzt schrubbte er je nach Wetterlage läuferisch oder auf dem Rad ein
paar Kilometer. Denn Sport hält fit.
Am 8. Januar, zwei Tage nach seinem 88. Geburtstag, schloss sich der Lebenskreis eines stets bescheidenen,
fleißigen und kameradschaftlichen Sportlers und Menschen. Die Radsportgemeinde wird ihn in sehr guter
Erinnerung behalten. Die Trauerfeier für ihn findet am Dienstag, dem 6. Februar 2024 auf dem Friedhof an der
Dippoldiswalder Straße in Pirna statt.