Immo Rittmeyer ist gestorben

8. Januar 2024


Immo Rittmeyer ist am 8. Januar 2024 im Alter von 88 Jahren gestorben.
aus: "Sächsische Zeitung" vom 22. Januar 2024, Seite 17

Ein Großer des Radsports ist gestorben

Ganz leise, still und zurückhaltend ist er gegangen – so wie er immer gelebt hat. Erst jetzt wurde bekannt, dass bereits am 8. Januar der bekannte Dresdner Radsportler Immo Rittmeyer im stolzen Alter von 88 Jahren gestorben ist. Wie bescheiden er war, belegt eine Geschichte aus der Zeit, in der er längst zu den Besten seiner Branche in der DDR gehörte. Anfang der 1960er Jahre stand er vor dem Start zum bekannten Radrennen „Rund um die Dresdner Heide“ mit Gustav Adolf Schur und anderen damaligen Ausnahmefahrern am Start. Als sich ein neunjähriger Autogrammsammler an ihn wandte, kam er der Aufforderung nach, meinte aber: „Was willst du von mir, ich bin doch gar kein Großer?!“

Wer war Immo Rittmeyer?
Seit den 1950er Jahren lockte Anfang Mai eine eingängige Fanfare alle Radsportfreunde an die Radios, um den Übertragungen vom Renngeschehen der Friedensfahrt zu lauschen. Fuhr das Fahrerfeld gar durch eine Ortschaft in der Nähe, strömten Tausende hin, nur um für ein paar Sekunden einen Blick auf den bunten Pulk werfen zu können.
Von diesem Friedensfahrtfieber war auch der 18-jährige Immo Rittmeyer infiziert, als er 1954 sein erstes Radrennen bestritt und auf einem Tourenrad Zweiter der Kreismeisterschaften in Pirna wurde. Kurze Zeit später meldete er sich bei der BSG Medizin Dresden an, erhielt das begehrte Rennrad und trainierte fortan unter dem verdienstvollen Dr. Walter Müller-Henning, der ihn systematisch zu einem sehr guten Rennfahrer formte. Die notwendige Zähigkeit und Härte holte sich Immo auch auf seinen langen Anfahrts- und Heimwegen zwischen Dresden und seinem Heimatort Herbergen bei Liebstädt, wo er den Eltern auf dem Bauernhof kräftig mithalf. So war seine Delegierung zum SC Wismut Karl-Marx-Stadt im Juli 1961 folgerichtig. In diesem Verein wurden seine Friedensfahrthelden Helmut Stolper, Manfred Weißleder und Johannes Schober zu Mannschaftskameraden.
Seine erfolgreichste Zeit erlebte Immo zwischen 1962 und 1964. Das waren allerdings genau die Jahre, in denen DDR-Radsportler keine Einreisegenehmigung zu den Weltmeisterschaften nach Frankreich und Belgien erhielten. Es tobte der Kalte Krieg. Auf den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 reagierten die NATO-Mitgliedsländer mit einem Einreiseverbot für alle DDR-Athleten in allen Sportarten. Nach einem sehr erfolgreichen Start bei der Österreich-Rundfahrt 1962 mit einem Etappenerfolg und dem Sieg in der Mannschaftswertung hoffte Immo endlich auch auf eine Teilnahme an der Friedensfahrt. Ein Handbruch nach einem Sturz auf der Berliner Winterbahn und eine schwere Erkältung verhinderten mögliche Starts in den Jahren 1963 und 1964. Die Olympischen Spiele in Tokio sollten sein Laufbahnhöhepunkt werden. Gewissenhaft hatte er sich vorbereitet. Die beiden Ausscheidungsrennen in Gießen und Erfurt zwischen den jeweils 15 besten BRD- und DDR-Fahrern zur Qualifikation für die gemeinsame deutsche Mannschaft absolvierte er bravourös. In Gießen parierte er einen Angriff seines westdeutschen Doubles Winfried Gottschalk und setzte sich mit ihm gut eine Minute vom übrigen Fahrerfeld ab, besiegte ihn im Spurt deutlich und gewann. Das brachte laut Qualifikationsmodus 30 Punkte und sicherte ihm mit dem 12. Platz (19 Punkte) im Erfurter Rennen einen der begehrten fünf Startplätze für die Straßenfahrer. Da die Bahnfahrer der DDR ihren Kollegen aus der BRD in allen Disziplinen unterlagen, fuhren letztlich nur zwei DDR-Renner und 14 aus der Bundesrepublik nach Japan: Günter Hoffmann vom ASK Vorwärts Leipzig und Immo Rittmeyer.
In Tokio wohnten die Sportler der gemeinsamen deutschen Mannschaft zwar im gleichen Hotel, doch waren die Ossis und Wessis nicht nur zimmerweise voneinander getrennt. Jegliche Kontakte sollten vermieden werden, so lautete die Vorgabe der Funktionäre. Wen wundert bei so wenig Teamgeist der enttäuschende 14. Platz im Mannschaftsfahren. Im Einzelrennen kam Immo zwar zeitgleich mit dem Sieger ins Ziel, konnte aber wegen eines Reifenschadens kurz vorm Finale nicht ernsthaft in den Endspurt eingreifen.
Nach seiner Ankunft in der Heimat wurde ihm noch auf dem Flughafen in Berlin mitgeteilt: „Komm´ mal morgen im Personalbüro vorbei!“ Dort erfuhr er von seiner Ausdelegierung aus dem Sportklub. Ohne Angabe eines Grundes – das war damals so üblich – musste er seine radsportliche Laufbahn mit gerade erst 28 Jahren beenden.
Trotz dieser Enttäuschung resignierte Immo nicht, sondern kümmerte sich um seine berufliche Entwicklung. Er holte in der Abendschule die 10. Klasse nach, erlernte den Beruf eines Kfz.-Schlossers und absolvierte – ebenfalls im Abendstudium – eine Ausbildung zum Kfz.-Meister. Inzwischen war er nach Pirna umgezogen, heiratete seine Erika, die er beim Sportklub in Karl-Marx-Stadt kennenlernte und mit der er Anfang des Jahres seinen 59. Hochzeitstag beging, und arbeitete bis zum Eintritt ins Rentenalter in der Kfz.-Werkstatt der SDAG Wismut in Leupoldishain.
Der Sport ließ ihn nie los. Einmal Sportler – immer Sportler. Nach dem Leistungs- kam der Hobbysport. Er beteiligte sich mehrmals am GutsMuths-Rennsteiglauf, am Wasa-Lauf in Schweden, am Radmarathon Trondheim – Oslo (539 km), an den Senioren-Rad-Weltmeisterschaften in Sankt Johann sowie an verschiedenen Triathlon-Wettbewerben. Bis fast ganz zuletzt schrubbte er je nach Wetterlage läuferisch oder auf dem Rad ein paar Kilometer. Denn Sport hält fit.

Am 8. Januar, zwei Tage nach seinem 88. Geburtstag, schloss sich der Lebenskreis eines stets bescheidenen, fleißigen und kameradschaftlichen Sportlers und Menschen. Die Radsportgemeinde wird ihn in sehr guter Erinnerung behalten. Die Trauerfeier für ihn findet am Dienstag, dem 6. Februar 2024 auf dem Friedhof an der Dippoldiswalder Straße in Pirna statt.


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