Die Pest wütet – daran Schuld sollen die Juden sein
Sachsen, in den Jahren 1350 bis 1358
Die Jahre von 1350 – 1358 zeichneten sich durch furchtbare Kälte, Theuerung,
Wassernoth, so wie durch Seuchen, namentlich durch den schwarzen Tod zum
Entsetzen aus.
Diese Schicksale, namentlich der schwarze Tod ward die Ursache, daß man die
Juden beschuldigte, die Brunnen vergiftet zu haben und kein Mensch trat gegen diese
die menschliche Vernunft als unsinnig entehrenden dummen Beschuldigungen auf. Die
Unglücklichen wurden durch alle Arten von Mißhandlungen gequält und ihr Leben dem
rohen hirnlosen Pöbel preisgegeben. Viele Tausende von Juden starben bei diesen
leider in Deutschland und andern europäischen Ländern zuweilen wiederkehrenden
grausamen Judenhetzen. Die damalige Menschheit war in vielen Beziehungen schwach
am Geiste, die Köpfe etwas stark vernagelt. Schwarzkünstler, Teufelsbeschwörer,
Propheten und dergleichen Gelichter mehr machten die besten Geschäfte von der Welt,
der Aberglaube war im vollsten Flor, Gespenster sah man in allen Ecken und Leipzig
genoß die Auszeichnung in dieser Beziehung das von den abergläubischen Sorben
ihnen überkommene Erbtheil, den Aberglauben, mit größter Vorliebe zu hegen und
zu pflegen. Große Stürme, Lufterscheinungen, Kometen brachten das Volk in Entsetzen
und es rannte in die Kirchen, die Gefahren wegzubeten, die da unbestreitbar nun
folgen mußten. Zur selben Zeit machten die
Flagellanten
wieder große Umzüge und
Prozessionen. Man fand es in Zeit der Noth ganz passend, daß diese hirnkranken
Büßer sich bis aufs Blut geißelten, um Gott den allmächtigen Schöpfer zu bewegen,
die von ihm der Menschheit zugedachten Uebel wieder abzuwenden. Und die Kirche
ging damit treulich Hand in Hand, sie verlieh Indulgenzbriefe, d. h. der Papst gab
40tägigen Ablaß, weil der Hochaltar nebst fünf anderen Altären der Thomaskirche
neu restaurirt worden war. Ein Indulgenzbrief von 17. Mai 1452 für Leipzig
sichert sogar auf 100 Tage Vergebung der Sünden zu.
Die Geistlichkeit wußte ihre Sache, d. h. die Unterjochung der Geister anders
anzufangen, indem sie dem Volke Vergnügungen bereitete, die ganz geeignet waren,
es zu zerstreuen. Für die traurigen aschgrauen 42 Tage der Fastenzeit, wo sich die
Christenheit durch Enthaltung der festen Nahrungsmittel casteite, bot sie ihr reichliche
Schadloshaltung durch öffentliche Prozessionen und geistliche oft in die albernsten
Mummereien ausartende Spiele. Das Todaustreiben zur Zeit der Mitfasten
gab dem jungen Volke viel Spaß. Ein Strohmann an eine Stange gebunden und
mit Fetzen behangen, wurde, unter Spottlieder auf den bleichen Tod, in den Straßen
herumgetragen und schließlich unter Jubelgebrüll in die Parde geworfen. Dadurch
glaubte man, daß alle pestartigen Dünste und ansteckenden Krankheiten vertrieben
würden. Aus der Wendenzeit stammend, war dies Fest auf die Deutschen über-
gegangen, der Aberglaube findet jederzeit leichter Eingang bei den Menschen als die
Vernunft. Zur Ehre der Wenden darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß dies von
ihnen gefeierte Fest einem ganz anderen Sinn hatte. Man begrub den Winter
dadurch und feierte sonach die Wiederauferstehung der Natur.
Das Pflugziehen, eine von jungen Burschen ausgeführte Tollheit, bestand
darin, daß man einen Pflug durch die Straßen schleifte, natürlich unter gräulichem
Geschrei, ohne dies gab es keine Freude, und wurde man eines ledigen Frauen-
zimmers habhaft, wurde dies ohne Gnade und Barmherzigkeit zum Skandal für die
ganze Stadt davor gespannt und mußte ihn ziehen. 1499 passirte dies einer Köchin,
die, sich in ihre Küche flüchtend, wohin man sie verfolgte, eien der tollen Bursche
mit dem Messer niederstieß. Nur mit vieler Mühe konnte der Rath dieses unsittliche
Fest abbringen.
aus: "Das goldne Buch vom Vaterlande", Löbau: Walde, 1859, Seiten 311 – 313