Das Blutgericht in Bautzen

Bautzen, am 6. Oktober 1408

aus: ´Reise in die Geschichte´, Seite 14
aus: "Reise in die Geschichte – Sachsen", 1992, Seite 14
Am 29. Mai 1405 empörten sich die Bürger von Budissin ...
aus: de.wikisource.org/wiki/Bautzener_Sagen, Nummer 12, im März 2024
Wenzel IV. (1361 – 1419) war bereits als Zweijähriger zum König von Böhmen gewählt worden. ...
aus: ´Bunde Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2, 1894, Seite 253
aus: ´Bunde Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2, 1894, Seite 254 oben
aus: ´Bunde Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2, 1894, Seite 254 unten
aus: ´Bunde Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2, 1894, Seite 255 oben
aus: ´Bunde Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2, 1894, Seite 255 unten
aus: ´Bunde Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2, 1894, Seite 256

      Schon gegen Ende des 14. Jahrhunderts schwebten Streitigkeiten zwischen
dem Stadtrate und den Handwerkergilden zu Bautzen. Letztere errangen sich
durch festes Beharren auf ihren Forderungen und unter Begünstigung des Landes-
herrn eine völlige Gleichberechtigung mit den alten Patriziergeschlechtern, in deren
Händen vorher allein die Leitung der städtischen Angelegenheiten sich befunden
hatte. Die Handwerker wußten es durchzusetzen, daß sechs der ihrigen - eben-
soviel wie aus den anderen Ständen - zu Ratsherren gewählt werden mußten,
und das Amt des Bürgermeisters abwechselnd ein Jahr mit einem Handwerker
und das folgende Jahr mit einem aus der übrigen Bürgerschaft Gewählten
besetzt wurde. Durch diesen Erfolg war aber die Begehrlichkeit der Zünfte noch
nicht gestillt. Neue Forderungen folgten den alten. An der Spite der Unzu-
friedenen stand die Tuchmacherinnung, deren blühendes Gewerbe in alter Zeit
den Wohlstand Bautzens mitbegründet hatte. Unter Führung ihres Obmannes
Peter Preuselwitz, der ein gebildeter Mann war und sogar die sonst in Hand-
werkerkreisen damals noch gar nicht geübte Kunst des Schreibens bei den Fran-
ziskanermönchen zu Bautzen erlernt hatte, wußten die Tuchmacher alle anderen
Gilden, mit alleiniger Ausnahme der Metzger, für ihre Pläne zu gewinnen. Man
verband sich zu offenem Aufruhr gegen den Magistrat. Letzterer konnte das un-
billige Verlangen nach Ausschließung derjenigen Bürger aus der Ratskörperschaft,
welche ein Landgut besaßen, sowie den Anspruch auf freie Braugerechtigkeit nicht
bewilligen. Als man ihn dazu noch einer üblen Verwaltung des Gemeindever-
mögens beschuldigte, ahnte der Rat die schlimme Tragweite der Vorgänge. Er
wandte sich unverzüglich um Hilfe an die benachbarten Oberlausitzer Städte
Kamenz, Löbau, Zittau, Görlitz und Lauban, welche mit Bautzen durch
den 1346 gegen die Raubritter geschlossenen sogenannten Sechsstädtebund
vereint waren. Diese entsendeten denn auch alsbald einen Abgeordneten nach
Bautzen mit dem Auftrage, zwischen den streitigen Parteien zu vermitteln, allein
vergeblich oder zu spät.
      Die Mitglieder der Zünfte umzingelten am 29. Mai 1405 bewaffnet das
Rathaus. Dort war bereits der Rat versammelt, als ihre Führer in das Sitzungs-
zimmer hineinstürmten. Schnell ergriffen die Stadtväter durch einen anstoßenden
Gewölberaum die Flucht und entkamen auch sämtlich bis auf einen, welchen die
Aufrührer gefangen nahmen, in den Lauenturm sperrten und daselbst vierzehn
Tage lang verwahrt hielten. Der geflüchtete Rat wurde nun für abgesetzt erklärt
und ein neuer, aus lauter Angehörigen des Tuchmacherhandwerks bestehend, er
nannt. Durch den leichten Sieg übermütig gemacht, ließen sich die Aufständischen
weiter zu einem Beginnen hinreißen, welches den höchsten Zorn des Königs auf
ihr Haupt heraufbeschwören mußte.
      In dem uralten Schlosse Bautzens, der Ortenburg, wohnte der Königliche
Landvogt der Lausitz, Herzog Bolko von Münsterberg. Derselbe war zur
Zeit gerade abwesend, und einer seiner Söhne, mit der Obhut der landes-
herrlichen Beste betraut, hatte die Bürger erfolglos zur Ruhe und Ordnung
gemahnt. Jetzt zogen die Handwerker mit dem schweren Geschütz der Stadt vor
die Ortenburg und belagerten dieselbe. Sie vermochten zwar das feste Bollwerk
trotz heftiger Beschießung nicht zu erobern, doch dauerte die Einschließung fort bis
zum 6. September 1405, an welchem Tage endlich Markgraf Jost von Mähren
von der Niederlausitz aus bewaffnete Hilfe brachte und die Belagerten glücklich
entsetzte. Der neue Rat wurde seiner Stellung enthoben, doch das Regiment der
Zünfte bestand einstweilen noch fort. Auch erhielt keiner der Empörer nach Nieder-
legung der Waffen eine Strafe; solche verschob man bis zur Ankunft des Königs.
      Damaliger Landesherr der Oberlausitz war Wenzel IV., der nämliche, welcher
in den Jahren 1378 - 1400 die deutsche Kaiserkrone getragen, dann aber, durch
die Ränkesucht der rheinischen Kurfürsten dieser Würde für verlustig erklärt, sich
auf die Regierung seines Stammlandes Böhmen beschränkte hatte. Die Schuldigen
zu Bauten bewahrten aus Furcht vor des Königs Zorn eine scheinbare Ruhe, ver-
zichteten jedoch auf keins ihrer angemaßten Rechte. Über solches Verhalten liefen
Klagen am Hofe zu Prag ein. Da sandte der König im Jahre 1407 seinen
Vetter, den Markgrafen Jodakus, zur Wiederherstellung des bürgerlichen Friedens
nach Bautzen. Erst nachdem sich dessen Versuche als fruchtlos erwiesen hatten,
brach endlich Wenzel persönlich und in Begleitung seiner Gemahlin Sophia nach
der Oberlausitz auf.
      Einer gewitterschwülen Stille glich jetzt der Zustand, in dem sich die Gemüter
der Empörer befanden. Kannten sie doch die Gerechtigkeit wie auch die grausame
Strenge des Königs, von dem man erzählte, daß er den Henker seinen Gevatters-
mann und liebsten Begleiter nannte, und dem einst sogar ein Höfling an die
Thür des Schlafgemachs geschrieben hatte: "Wenzel ist ein zweiter Nero." Über
Zittau, wo sich der König sehr huldvoll und gnädig ereigte, traf derselbe mit
großem Erfolge am 6. Oktober 1408 in Bauten ein. Alle zu seiner Begrüßung
herbeigeeilten Abgeordneten der Bürgerschaft ließ er ohne Empfang abweisen.
Er war zum Blutgericht gekommen wegen des doppelten Vergehens der Bautzener:
Aufruhr gegen den Magistrat und Belagerung der Königlichen Burg. Sein
erster Gang richtete sich nach dem Rathause. Dorthin beschied er er den alten,
von den Zünftlern vor drei Jahren vertriebenen, wie auch den neuen Rat. Als
alle in banger Erwartung sich versammelt hatten, setzte sich König Wenzel auf
den Bürgermeistersessel mit den Worten: "Hier sitze ich als der rechte Bürger-
meister! Wer etwas zu klagen hat, der thue es!" Er selber verhörte nun
die Parteien und forschte gründlich nach den Ursachen und dem Verlauf der
Empörung. Gegen hundert Angeklagte mußten ihm Rede und Antwort stehen.
Er hieß darauf den neuen Rat und eine große Anzahl Rädelsführer in ein an-
liegendes Gewölbe treten. Hier standen schon drei Henker bereit, welche denselben
die Hände auf den Rücken banden. Unterdessen bemerkte man mit Grausen, daß
auf dem benachbarten Hauptmarkte Zurüstungen zu einer Massenhinrichtung ge-
troffen wurden. Den Gefesselten war das Todesurteil verkündet worden. Un-
mittelbar darnach führte man sie zur Vollziehung der Strafe auf den Marktplatz.
Eine große Menschenmenge harrte dort unter Zittern und Beben der kommenden
Dinge. Die Weiber und Kinder der Unglücklichen brachen beim Herannahen der
dem Tode Geweihten in herzzerreißende Klagen aus. Die Enthauptungen begannen.
Sämtliche 13 Mitglieder des neuen Rates, einschließlich ihres Bürgermeisters
Fritz Flicker, verbluteten als erste unter dem Schwerte des Scharfrichters. Mit
jeder neuen Hinrichtung steigerte sich das Weinen und Geschrei der verzweifelten
Angehörigen. König Wenzel, an solche furchtbaren Scenen gewöhnt, sah mit
seiner Gemahlin dem Schauspiele aus dem Fenster eines Hauses zu. Immer
schrecklicher ertönte das Jammergeheul des Volkes; erschütternd war das Hände-
ringen desselben nach dem königlichen Fenster hinauf. Wenzel blickte kalt darein;
seinem Sinn für Gerechtigkeit erschien die verhängte Sühne nicht zu hart. Das
Herz der sanften Königin allein rührten die unsäglichen Schmerzenslaute der
drunten auf den Knieen um Erbarmen Flehenden. Auf ihre Fürbitte rief Wenzel:
"Es ist genug!" Er schenkte den übrigen Verurteilten das Leben, verbannte aber
mehr als ein halbes Hundert derselben samt ihren Familien aus der Stadt. Nach
einer sagenhaften Überlieferung soll er befohlen haben, daß man die Namen der
Enthaupteten in das Henkerschwert eingraben und letzteres zu ewigem Angedenken
im Rathause aufbewahren möchte.
      Alle Innungen mußten alsdann ihre Privilegienbriefe dem Könige bringen.
Wenzel zerschnitt diese pergamentnen Urkunden mit eigner Hand und machte sie
dadurch ungiltig. Er nahm den Handwerkern alle ehedem besessenen Vorrechte,
auch die Befugnis, ein Siegel zu führen. Nur die Zunft der Fleischer wurde
hiervon nicht betroffen. Selbige war bei dem Aufstande unbeteiligt geblieben.
Nachdem der König den alten Rat wieder eingesetzt, ließ er auch der gesamten
Stadt eine hohe Strafsumme auferlegen, zu deren Aufbringung sie mehrere Teile
ihres Landbesitzes veräußern mußte. Nicht minder entzog er den Bürgern das
Recht der ferneren eigenen Ratswahl.
      Durch das Beispiel zu Bautzen erschreckt und klug geworden, hatten die
Görlitzer Tuchmacher, welche ebenfalls im Streite mit ihrem Rate lagen, durch
Nachgiebigkeit schnell eine Versöhnung herbeigeführt. Als daher König Wenzel
von Bautzen aus nach Görlitz ging und daselbst gleichfalls in der Ratsstube an
die Vorgeladenen die Frage richtete, ob sie gegeneinander irgendwelche Beschwerden
hätten, verneinten dies beide Teile und bezeugten öffentlich ihre gegenseitige Zu-
friedenheit. So blieb jene Stadt vor gleich trüben Erfahrungen verschont.
      Dr. Georg Pilk.

aus: "Bunde Bilder aus dem Sachsenlande", Band 2, 1894, Seiten 253 – 256



1. Jahrtausend
11. – 14. Jahrhundert
15. Jahrhundert
16. Jahrhundert
17. Jahrhundert
18. Jahrhundert
19. Jahrhundert
1900 – 1918
1919 – 1932
1933
1934
1935
1936
1937
1938
1939
1940
1941
1942
1943
1944
1945
1945 – 1999
21. Jahrhundert