Da brach das Reformationszeitalter an. Die Lehre Luthers drang
auch über die hohen Klostermauern und weckte in den Jungfrauen die Sehnsucht
nach Befreiung. Von den 38 Nonnen des Klosters waren es besonders 9,
die für Luthers Lehre schwärmten. Mit Eifer lasen sie seine Schriften, die sie
sich hinter dem Rücken der Äbtissin zu verschaffen wußten. Nur im geheimen
natürlich durften sie ihre Meinungen darüber austauschen. Bald waren sie zu
der Überzeugung gekommen, daß ein Sichabschließen von aller Welt, ein Meiden
aller Freuden dieser Erde doch kein Gott wohlgefälliges Wort sein kann. Was
aber thun? Der strengen Äbtissin ihre wahren Gesinnungen gestehen, das hätte
nur zwei Fasttage wöchentlich mehr und verdoppeltes Horasingen und Rosenkranz-
beten eingebracht. Die jungen Nonnen warteten.
Da kam wieder einmal der Frühling ins Land. Wie lockte es sie hinaus,
jetzt, da sie die Triller der fröhlichen Lerche hörten! Wie schön mußte es sein,
mit Vater und Mutter, Bruder und Schwester durch die neu erwachte Natur zu
pilgern und die Gedanken mit ihnen zu besprechen, die man hier still verborgen
im innersten Herzensschrein tragen mußte! Jetzt ward ihnen erst recht die Ein-
förmigkeit und Strenge ihres abgeschlossenen Lebens bewußt. Rasch entschlossen,
schrieben sie an die Eltern zu Hause und baten in demütigen Worten um die Er-
laubnis, das Kloster verlassen zu dürfen. Ihre Bitten wurden jedoch sämtlich
abgeschlagen; auch erhielt die Äbtissin von dem Geschehenen Kunde. Nun sahen
sie keinen andern Ausweg als die Flucht.
Am 4. April, am Ostersonnabende des Jahres 1523 abends war es, da
entflohen unter Beihilfe zweier Torgauer Bürger, des Leonhard Koppe und des
Wolf Tommitzsch, 9 Nonnen dem klösterlichen Zwange und kamen am 7. April
in Wittenberg an. Diese Flucht ist den Nonnen jedenfalls unvergeßlich geblieben.
Jede von ihnen saß in einer hohen Tonne auf einer schmalen Bank. Von oben
her strich die frische Nachtluft herein und machte die Flüchtigen schauern. Dazu
kam nun noch die Sorge, daß die Flucht nicht gelingen könne. Als die Jung-
frauen in Torgau, dem ersten Ruhepunkte, ankamen, da atmeten sie erleichtert
auf, aber ihre Leiber waren ganz durchrüttelt und zerschlagen. Bald darauf
folgten 3 weitere Nonnen dem Beispiele der 9 Flüchtlinge und wandten auch den
Klostermauern den Rücken, und zu Pfingsten desselben Jahres wurden 3 Jung-
frauen von den Ihrigen aus dem Kloster mit Gewalt weggeholt. Hatte doch Luther
selbst in einem an Leonhard Koppe gerichteten Schreiben "die Herren vom
Adel und alle frommen Biderleut, so Kinder im Kloster haben, ermahnt, daß sie
selbst dazu thun und sie eraußen nemen, auff daß nichts ergers hernach folge."
Unter den ersten Flüchtlingen war auch Katharina von Bora, Luthers
spätere Gemahlin. Sie war am 29. Januar 1499 geboren und mit 10 Jahren
ins Kloster aufgenommen worden; bei ihrer Flucht stand sie im 25. Lebensjahre.
Erwähnt zu werden verdient ferner Magdalena von Staupitz, die Schwester des
Dr. Johann von Staupitz, welche die erste Lehrerin an der 1529 in Grimma "zu
Zucht der jungen meydlein" gegründeten Mädchenschule wurde. In dem eben er-
wähnten Jahre wurde auf Grund einer Visitation des Klosters der Gottes-
dienst nach lutherischer Weise eingerichtet. Der Äbtissin Margarete von Haubitz,
sowie den hier weilenden 17 Nonnen wurde erlaubt, das Kloster zu verlassen
und sich zu verheiraten. Als 1536 die Äbtissin starb, befanden sich nur noch
8 Klosterjungfrauen hier. Jetzt wurde das Kloster verpachtet, und jede der Nonnen
erhielt auf Befehl des Kurfürsten jährlich 32 Gulden bis ans Lebensende aus-
gesetzt, ohne daß daran die Bedingung geknüpft worden wäre, das Kloster zu
verlassen. Aber schon 1543 stand das Kloster leer; die meisten von den
8 Cisterzienserinnen hatten es vorgezogen, sich zu verehelichen.
aus: "Bunte Bilder aus dem Sachsenlande", Band 2 (1894), Seiten 358 – 359