Der unblutige Wurzener Fladenkrieg.
Es war zu Anfang des Jahres 1542. Lauer wehten schon die Lüfte; Sträucher
und Bäume begannen zu knospen, und die lieben Zugvögel kehrten zurück -
nach langem Winter wieder wonnige Frühlingszeit. Das deutsche Volk vermochte
sich jedoch diesmal nicht des holden Lenzes zu erfreuen; denn wiederum drohte
der alte Erbfeind der Christenheit, der Türke, mit großer Heeresmacht in Deutsch-
land einzufallen. Bange Sorgen erfüllten aller Herzen, und statt Friede und
Freude schien das neue Jahr dem Vaterlande nur Krieg, Not und Tod zu bringen.
Kaiser und Reichsfürsten beeilten sich, ihre Heere zu sammeln und auszurüsten.
Das hierzu erforderliche Geld suchten sie durch Ausschreibung einer Steuer, der
sogenannten Türkensteuer, zu erlangen. So schrieb denn auch Kurfürst
Johann Friedrich der Großmütige von Sachsen in seinem Lande eine
Türkensteuer aus und forderte sie auch von Stadt und Stift Wurzen, obgleich
diese, als eine Stiftung des Bistums Meißen, damals unter dem gemeinschaftlichen
Schutze der ernestinischen und albertinischen Linie standen und somit seinem Vetter,
dem jugendlichen Herzoge Moritz, mit zugehörten, der Kurfürst also kein Recht
besaß, eigenmächtig die Steuer von Wurzen zu verlangen. Ja, des Kurfürsten
Kanzler, Dr. Brück, ging sogar damit um, Stadt und Schloß Wurzen allein für
seinen Herrn in Anspruch zu nehmen. Vom jungen, 21jährigen Herzoge
Moritz besorgte man dabei keine Einwendungen. Wie sehr hatte man sich je-
doch getäuscht!
Die Wurzener Bürgerschaft und das Stift weigerten sich, der Forderung
des Kurfürsten Johann Friedrich nachzukommen, und da beide auch auf wiederholtes
Zureden bei ihrer Meinung beharrten, ließ der Kurfürst die Stadt am Palm-
sonntage mit 400 Mann besetzen. Herzog Moritz aber war über die Eigen-
mächtigkeit seines Vetters sehr erzürnt und fest entschlossen, solche Eingriffe in
seine Rechte mit dem Schwerte zurückzuweisen, um so mehr, als Wurzens festes
Schloß und die bequeme Furt, die hier durch die Mulde führte, bei etwaigen
kriegerischen Verwicklungen auch für ihn von großer Wichtigkeit waren. Er
ließ deshalb in allen Städten des Meißner Landes die Mannschaften aufbieten
und versammelte seine Truppen in Leipzig und Oschatz. Stadt und Kreis Leipzig
stellten 500 Mann zu Fuß und 250 Mann zu Pferde, der Rat zu Freiberg
300 Mann und andere Städte kleinere Abteilungen. Unterdessen säumte auch der
Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige nicht, zu rüsten, und er brachte bald
zwischen Grimma und Wurzen ein Heer von 22.000 Mann zusammen. Ein Krieg
schien unvermeidlich.
Da hörte Landgraf Philipp von Hessen, der Schwiegervater des
Herzogs Moritz, von der Fehde. Mit tiefer Betrübnis sah er seiner Vettern
Streitigkeiten und suchte eine Versöhnung herbeizuführen. In seinen Bemühungen
wurde er ganz besonders auch von Dr. Martin Luther, der von den Zwistigkeiten
der beiden sächsischen Fürsten für das gottselige Werk der Reformation nicht
geringen Schaden befürchtete, aufs eifrigste unterstützt. Dieser Gottesmann
schrieb einen "ernstlichen und beweglichen" Brief an die fürstlichen Vettern,
worin er ihnen die Geringfügigkeit der Sache vorhielt und sie friedlich zu
stimmen suchte. Im Anfange dieses Briefes sagte er, es käme ihm zwar nicht
zu, sich in dergleichen Sachen zu mischen, sondern eines Predigers Amt sei nur,
für die Leute zu beten und sie zu warnen. Weil nun aber das erstere schon
von ihm geschehen sei, so wolle er doch das andere seinem Gewissen nach auch
thun. Hierauf führte er aus, wie man nach dem Befehle unseres Heilandes
friedfertig sein, desgleichen, daß man alle Rache fliehen und meiden solle. Und
weiter schrieb der große Mann: "Ist doch das Städtlein Wurzen nicht wert der
Unkosten, so bereits drauf gegangen sind, geschweige solches großen Zorns so
großer mächtiger Fürsten, und würde bei vernünftigen Leuten nichts anderes an-
gesehen, denn als zween volle Bauern sich schlügen im Wirtshaus um ein zer-
brochenes Glas oder zween Narren um ein Stück Brotes willen, ohne daß der
Teufel und seine Glieder aus solchen Funken gerne ein groß Feuer aufbliesen
und also den Feinden eine Freude, dem Türken ein Gelächter, dem Evangelio
eine sonderliche Schande aufthäten." Hierauf redete Luther von ihrer nahen
Verwandtschaft und ermahnte sie dringend, von diesem Kriege abzustehen.
Des Landgrafen und Luthers Bemühen war denn auch mit Erfolg gekrönt.
Es kam zwischen dem Kurfürsten Johann Friedrich dem Großmütigen und dem
Herzoge Moritz zu einem Vergleiche, der von den Kanzlern aufgesett, von den
Fürsten unterschrieben und sodann vom Bischof Johann VIII. von Miltitz, dem
drittletzten von Meißen, (1538 - 1549), in der Domkirche zu Wurzen vorgelesen
wurde. Die Truppen wurden sogleich entlassen. Sie eilten der Heimat zu und
kamen gerade noch zur rechten Zeit daheim an, um die Osterfladen, d. i. eine Art
Quarkkuchen, mit verzehren zu helfen. Nirgends aber wurden wohl diesmal die
Fladen fröhlicher verspeist als in Wurzen und den umliegenden Ortschaften. Zur
Erinnerung hieran nennt man noch heute diese unblutige Fehde den Wurzener
Fladenkrieg. E. Hornig.
aus: "Bunte Bilder aus dem Sachsenlande", Band 2 (1894), Seiten 325 – 326
aus: Günter Naumann: Geschichte in Daten – Sachsen, 2003, Seite 99