Die Oberlausitz, heute allgemein als das "Weberland" bekannt, war schon
gegen das Jahr 1600 der Sitz ausgebreiteter Zwillichweberei. Der kärgliche
Verdienst, den diese Beschäftigung brachte, veranlaßte einige Großschönauer Weber,
nach einem lohnenderen Gewerbe auszuschauen. Ihr Augenmerk richtete sich auf
die niederländische Damastweberei, deren reicher Ertrag geradezu sprichwörtlich
war. Den kühnen Plan, diese Beschäftigung nach Großschönau einuschmuggeln,
verwirklichte um das Jahr 1660 ein unternehmendes Brüderpaar, Namens Lange,
indem dasselbe trotz der Beschwerlichkeiten einer Reise zu jener Zeit nach dem be-
neideten Damastlande wanderte, einem niederländischen Damastweber sein Ge-
heimnis ablauschte und die gemachten Erfahrungen mit glücklichem Erfolge in der
Heimat verwertete. Das Unternehmen gelang, und denen, die es ausgeführt hatten,
war damit reicher Lohn gesichert. Was Wunder, wenn nun gar mancher Zwillich-
weber sein karges Gewerbe mit der einträglicheren Kunst der neuen Weberei ver-
tauschte! Allerdings erforderte ein Damastwebstuhl mit seinen Hunderten von
Garnfäden einen gar tüchtigen und umsichtigen Arbeiter. Die Damastweber hielten
aber auch etwas auf ihre Kunst und wachten mit Argusaugen über ihrem Ge-
heimnis, damit dasselbe in Nachbarorten nicht etwa bekannt würde.
Der Gedanke, ihre Industrie vor Weiterverbreitung zu schützen, schloß die
Damastweber sogar zu einer festen Zunft zusammen. Dieselbe verbot unter An-
drohung hoher Strafe jedem Damastweber, einen Fremden als "Webburschen"
anzunehmen, fremdes Gesinde zu halten, in Anwesenheit Ortsfremder zu ar-
beiten u. s. w. Ja, es ward den Damastwebern sogar das Auswandern streng
untersagt. Von den Landesherren, die den Großschönauern ob ihres Kunstfleißes
gar wohl gesinnt waren, erwarben sich die Meister das Recht der Militärfreiheit
für ihre Gesellen, um diese und ihre Kunstfertigkeit dem Orte zu erhalten. Solch
straffe Schutzmaßregeln ermöglichten es, daß Großschönau lange, lange Jahre
hindurch der einzige Damastweberort ganz Deutschlands blieb, trotz der eifrigsten
Bemühungen anderer Orte, das Geheimnis zu eigner Verwertung auszukund-
schaften. Preußens großer König Friedrich, der seinem durch Kriege verarmten
Lande in der Damastweberei gern eine neue Erwerbsquelle verschafft hätte, suchte,
da durch gütliche Verhandlungen von den starrköpfigen Großschönauern über die
Damastweberei nichts zu erfahren war, zuletzt mit List und Gewalt ihnen ihr
Webgeheimnis abzuringen. Er sandte einen preußischen Prinzen nebst einem
Offizier in das berühmte Damastdorf mit dem Auftrage, durch glänzende Ver-
sprechungen einzelne Damastweber zur Auswanderung nach Preußen zu bewegen.
Vom Mammon geblendet, wurden damals etwa 50 Weber ihrer Heimat untreu,
verließen dieselbe unter Bedeckung preußischer Husaren und legten den Grund zur
schlesischen Damastindustrie, die heute noch blüht. Kaiser Joseph II. von Öster-
reich sicherte jedem Damastweber, der sich in seinem Lande niederlassen würde,
eine Prämie von 50 Gulden zu.
Konnte nach dem allen die Zunft trotz der getroffenen Sicherheitsmaßregeln
auf die Länge der Zeit die Verbreitung der Damastmanufaktur nicht verhindern,
so hat sie doch dadurch, daß sie die Weber zur Lieferung nur guter Waren ver-
pflichtete, den Großschönauer Fabrikaten zu einem ausgezeichneten Rufe im In-
und Auslande verholfen. Längst hat die Zeit über die alte Weberzunft den Stab
gebrochen. Was einst ein ängstlich gehütetes Geheimnis der Großschönauer Weber
war, ist jetzt aller Welt bekannt. Alljährlich führt auch die einen sehr guten Ruf
genießende Oberlausitzer Webschule zu Großschönau eine große Anzahl junger
Männer, die dann in die Welt hinausgehen, in das Verständnis der Damastweberei
ein. Dampf und Maschine haben in neuer Zeit auch manche Erleichterung und
Vervollkommnung in die alte Weberkunst gebracht; aber bis heute ist´s der Technik
noch nicht vollständig gelungen, seinen seidenen Damast auf mechanische Weise
durch Kraftstühle herzustellen. Noch heute sitzt der Damastweber, ein Künstler in
seiner Art, hinter dem Handwebstuhle und treibt wie früher das Weberschifflein
hinüber und herüber. Ja, der Damastweber, dessen Erzeugnisse wegen der tadel-
losen Feinheit und der prachtvoll eingewebten Muster jedem Beschauer Staunen und
Bewunderung abringen, ist in Wahrheit ein Künstler, und noch mehr ist es der
Musterzeichner, der die herlichen Ornamente, Arabesken, Landschafts- und Jagd-
bilder, Menschen- und Tierfiguren zu entwerfen und zum Weben brauchbar darzu-
stellen weiß. Zu keiner Zeit hat es der Großschönauer Damastmanufaktur an
talentvollen Musterzeichnern und geschickten Damastwebern gefehlt. Ist´s darum
zu verwundern, wenn dieselbe schon vielfach durch Auszeichnungen hoher und
höchster Herrschaften geehrt ward und ihre Erzeugnisse auf den gewerblichen
Ausstellungen durch Medaillen und Preisverleihungen aller Art bedacht worden
sind? Schon über 200 Jahre besteht die Großschönauer Damastindustrie, und
noch immer blüht sie in alter Herrlichkeit; noch heute ist sie eine Quelle des
Segens für das reichbevölkerte Dorf und ein Ruhm für den gesamten vater-
ländischen Gewerbfleiß. Karl Burkhardt.
aus: "Bunte Bilder aus dem Sachsenlande", Band 2, Seiten 231 und 232