Sturm auf das Kriegsministerium
Dresden, 12. April
Heute vormittag gegen 10 Uhr hielten auf dem hiesi-
gen Theaterplatz etwa 500 – 600 Kriegsbeschädigte, La-
zarett-Insassen und Lazarett-Gehilfen, eine Versamm-
lung ab. Sie forderten die sofortige Wiedererhöhung
ihrer kürzlich herabgesetzten Löhne und zogen dann
gegen Mittag vor das Gebäude des Kriegsministe-
riums. Eine Abordnung verlangte den Kriegsminister
Neuring zu sprechen. Dieser wollte die Abordnung
nicht empfangen und drohte an, dass er sie wegen
Hausfriedensbruches verhaften lassen werde. Die
Demonstranten nahmen nun eine drohende Haltung
an und stürmten gegen das Tor des Gebäudes. Die
im Hause untergebrachten Regierungstruppen machten
darauf von der Waffe Gebrauch. Es heißt, dass zuerst
von einem Regierungssoldaten, einem jungen Or-
donnanz, mehrere Handgranaten geworfen wurden,
die allerdings bloße Übungsgranaten waren und nie-
mand verletzten. Darauf verhaftete die das Gebäude
umringende Menge, die inzwischen Zuzug bekommen
hatte, die Wache. Man zerschlug ihre Gewehre und
warf die Munition in die Elbe. In der Menge wurde
behauptet, dass der Kriegsminister den Befehl zum
Werfen der Handgranaten gegeben habe. Herbeige-
rufene Regierungstruppen erklärten, nicht eingreifen
zu wollen, gaben die Waffen ab und marschierten wie-
der ab. Die aufgeregte Menge hielt den Platz vor dem
Kriegsministerium besetzt. An verschiedenen Stellen
waren Maschinengewehre aufgestellt und nahmen das
Ministerium unter Feuer. Um 4 Uhr drangen die De-
monstranten in das Gebäude ein, ergriffen den Kriegs-
minister, der sich in das obere Stockwerk geflüchtet
hatte, schleppten ihn auf die Straße, misshandelten ihn
schwer und stürzten ihn von der Brücke in die Elbe
hinab. Anscheinend war der Kriegsminister ein guter
Schwimmer, denn er vermochte sich längere Zeit über
Wasser zu halten. Die Demonstranten eröffneten aber
aus zahlreichen Gewehren das Feuer, bis
schließlich der mit dem Tode in den Fluten kämpfende
Kriegsminister vor den Augen vieler Tausender er-
regter Zuschauer in den Fluten verschwand.
aus: Die bürgerlich-liberale "Vossische Zeitung" berichtete am 13.4.1919