Der 17. Juni 1953
in Dresden
Der folgende Beitrag stützt sich u. a. auf Aussagen der Autorin Dr. Heidi Roth
in ihrem 656 Seiten dicken Werk, das detailliert und profund die Ereignisse
um den 17. Juni 1953 schildert.
Auf dem Coverfoto sind eine Menschenansammlung sowie Panzer und
Mannschaftsfahrzeuge auf dem Theaterplatz zu sehen.
Links steht die Ruine der im Februar 1945 zerstörten Semper-Oper,
rechts vorn das Italienische Dörfchen, rechts im Hintergrund die Yenidze.
Quellen:
Heidi Roth: Der 17. Juni 1953 in Sachsen, Böhlau 2002
Heidi Roth: Nach dem 17. Juni 1953 – Der Prozess gegen Wilhelm Grothaus und andere.
In: Dresdner Hefte 60, Dresden 1999, Streifzüge durch die Dresdner Justiz, Seiten 72 - 80
Anders als beispielweise in Görlitz oder Leipzig verliefen die Ereignisse um den 17. Juni 1953
in der Stadt Dresden nahezu unblutig.
Im größten Industriebetrieb Dresdens – der Sowjetischen Aktiengesellschaft Sachsenwerk
Niedersedlitz – arbeiteten damals allein im Hauptwerk 5.465 Mitarbeiter, davon waren etwa 900
Mitglied der SED.
Am Morgen des 17. Juni versammelten sich etwa 1.000 bis 2.000 Sachsenwerker und Bauarbeiter
der Bauunion spontan im Hof und diskutierten erregt über die Zurücknahme der Normerhöhungen.
Der stellvertretende BGL-Vorsitzende Fritz Diener,
ein im Betrieb angesehener Arbeiter, versuchte die Maßnahmen der Regierung zu erklären und
mahnte zur Ruhe und Besonnenheit. Aber er wurde unterbrochen. Danach sprach der 1.
Parteisekretär des Sachsenwerkes Manfred
Leuteritz
und gab bekannt, die Normerhöhungen seien von der Regierung inzwischen wieder
zurückgenommen worden. Der Werkleiter Heinz
Noack
erklärte, die Arbeitsnormen seien per Gesetz durch die Regierung erhöht worden, was die Arbeiter
zu Forderungen „Nieder mit der Regierung“, „Freie Wahlen“ und „Bestrafung der Regierung“ veranlasste.
Ein Teil der Belegschaft nahm wieder die Arbeit auf, andere folgten dem Ruf „Wir marschieren!“
Gegen 10 Uhr verließen mehrere Hundert Sachsenwerker und Bauarbeiter das Betriebsgelände und liefen
in Richtung Bahnhof Niedersedlitz. Dort teilte sich die Masse. Einige Demonstranten gingen nach Hause,
andere wollten zum VEB ABUS und wieder andere Richtung Heidenau/Pirna, um weitere Betriebe für den
Streik zu begeistern.
Im VEB ABUS wählten die Mitarbeiter einen elfköpfigen „Prüfungsausschuss“, der die Streikleitung
innehatte:
Wilhelm Grothaus
(1893 – 1966) war Mitglied der SPD (1918 – 1932) und KPD (ab 1932), kämpfte im illegalen
Widerstand gegen die Nazis, wurde 1944 von der Gestapo verhaftet und zum Tode verurteilt.
In der Bombennacht vom 13. zum 14.2.1945 gelang ihm die Flucht aus dem Zuchthaus am Münchner
Platz. Nach dem Krieg wird das KPD-/SED-Mitglied als Ministerialdirektor eingesetzt. 1950
erhält der unbequeme und geradlinige Grothaus
eine Parteirüge und wird fristlos aus der Sächsischen Landesregierung entlassen. Er geht in
seinen alten Betrieb VEB ABUS zurück, wo er als Kalkulator arbeitet. Seine Kollegen wählen
ihn am 17. Juni zu ihrem Interessenvertreter. Noch in der Nacht zum 18. Juni wird er von der
Staatssicherheit verhaftet. Am 23. Juli wird er zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er
„die faschistische Diktatur wieder errichten“ wolle. Er wird 1960 begnadigt und verlässt
enttäuscht die DDR.
Fritz Saalfrank
(1909 – 199?) war seit 1931 Mitglied der NSDAP und SA-Obergruppenführer. Er kommandierte als
Hauptmann ein Bataillon an der Ostfront. In der ABUS war er ab 1946 Montagearbeiter, ab 1952
kaufmännischer Angestellter. Am 23. Juli wird der „eingefleischte Faschist“ zu zehn Jahren
Zuchthaus verurteilt.
Udo Imme
(1929 – …) arbeitete als Montageingenieur in der ABUS und war Funktionär der Betriebsgewerkschaft.
Am 23. Juli wird er zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.
Erich Berthold
(1902 – …) war seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SA. Der Hauptfeldwebel der Wehrmacht
kehrte 1948 aus sowjetischer Gefangenschaft zurück, arbeitete in der ABUS als Dreher und
später als Technologe. Außerdem fungierte er als Gewerkschaftsvertrauensmann. Er wurde zwar
verhaftet, das Verfahren aber wegen Geringfügigkeit des Tatbestandes eingestellt und der
Haftbefehl aufgehoben.
Herbert Müller
(1925 – …) arbeitete als technische Angestellter in der ABUS. Außerdem fungierte er als
Gewerkschaftsvertrauensmann. Er wurde zwar verhaftet, das Verfahren aber wegen Geringfügigkeit
des Tatbestandes eingestellt und der Haftbefehl aufgehoben.
Ingeborg Neumann
(1925 – …) war seit 1940 im BDM und seit 1944 Mitglied der NSDAP. 1947 trat sie in die SED ein.
Sie arbeitete als technische Sachbearbeiterin in der ABUS. Außerdem fungierte sie als
Gewerkschaftsvertrauensmann. Sie wurde zwar verhaftet, das Verfahren aber wegen Geringfügigkeit
des Tatbestandes eingestellt und der Haftbefehl aufgehoben.
Josef Piesche
(1898 – …) verbüßte von 1943 bis 1945 eine Freiheitsstrafe nach dem sog. „Heimtückegesetz“.
In der ABUS arbeitete er als Maschinenschlosser und Vorarbeiter. Er wurde zwar am 19. Juni
verhaftet, aber gegen ihn wurde keine Anklage erhoben.
Werner Hentschel
(1903 – …) war Mitglied der SA. In der ABUS arbeitete er als Buchhalter. Er wurde nicht
angeklagt.
Lothar Krausch
war Funktionär der Betriebsgewerkschaft. Er wurde nicht angeklagt.
Herr Aster
war Mitglied der SED. Er wurde nicht angeklagt.
Herr Struck
arbeitete als Betriebsmaler. Er wurde nicht angeklagt.
Etwa 1.000 ABUS-Mitarbeiter zogen gegen 14 Uhr zum Sachsenwerk, wo das Mitglied des ZK der SED Otto
Buchwitz
(1879 – 1964) beschwichtigend auf die insgesamt 2.000 bis 3.000 Anwesenden einsprach und sie zur
Aufnahme der Arbeit bewegen wollte. Dafür erntete er Pfeifen und Johlen. Wilhelm
Grothaus
ergriff das Wort und stellte die fünf Forderungen der ABUS-Mitarbeiter
1. Rücktritt der Regierung
2. freie und geheime Wahlen
3. Freilassung der politischen Gefangenen
4. Senkung der HO-Preise
5. Aufhebung der Verschlechterung in der Sozialfürsorge
vor und begründete sie. Darauf kam die Aufforderung aus der Menge, in die Dresdener Innenstadt
zu marschieren. Unterwegs schlossen sich Mitarbeiter anderer Betriebe, Passanten und Neugierige
dem Demonstrationszug an.
Auf dem Postplatz, dem Theaterplatz und dem Altmarkt versammelten sich 15.000 bis 20.000 Menschen,
die aber bis in die Abendstunden von der Kasernierten Volkspolizei und sowjetischen Panzereinheiten
aufgelöst wurden. Zeitzeugen heben dabei das „vorsichtige Agieren der Sowjets“ hervor, die nur die
Menschenmassen zerstreuen und am Weitermarsch in die Innenstadt hindern wollten. Schüsse fielen
erst, als einzelne Demonstranten auf dem Postplatz versuchten, das Telegrafenamt und die
HO-Verkaufsstelle zu stürmen – allerdings waren dies nur Warnschüsse in die Luft.
Gegen 21 Uhr herrschte in der Stadt wieder Ruhe.
Am 18. Juni standen an zentralen Stellen der Stadt sowjetische Panzer, Schützenpanzerwagen und
Kradbesatzungen und unterbanden so ein erneutes Aufflammen der Streiks. Lediglich im VEB
Transformatoren- und Röntgenwerk zwangen „die Freunde“ die Arbeiter durch Abgabe von Warnschüssen
an ihre Arbeitsplätze. Am Postplatz sammelten sich am Abend des 18. Juni etwa 200 Personen.
Erst nach Einsatz „scharfer Schüsse“ durch Rotarmisten war der Postplatz blitzartig leer.
Drei Jugendliche wurden mit Verletzungen ins Friedrichstädter Krankenhaus eingeliefert.